„Agile Organisation“ ist in aller Munde – Vorträge, Präsentationen, Diskussionen prägen derzeit die moderne Business-Welt. Alle reden zwar davon – einige wollen ihr Unternehmen in Richtung Agile Organisation verändern – haben dabei aber nur einen Aspekt im Fokus: Sie beschäftigen sich mit Struktur und Methodik, aber nicht damit, was die Veränderung für die beteiligten Menschen bedeutet. Dieser Beitrag zeigt die Anforderungen beim Übergang auf eine Agile Organisation auf.

Auf der Suche nach einer Definition zu „Agile Organisation“ wird man nicht fündig. Jeder verwendet den Begriff anders – und das ist schon Teil der Problematik.
Man findet in der einschlägigen Literatur 7 Aspekte:

Agile Organisation ist demzufolge charakterisiert durch folgende Kriterien:

  • Schnelligkeit
  • Anpassung
  • Flexibilität
  • Dynamik
  • Vernetzung
  • Vertrauen
  • Selbstorganisation

Hier zeigt sich bereits: Unklare Definitionen erschweren die Vorstellung des Neuen!
 Wenn man die Diskussionen verfolgt, stellen sich spontan folgende Fragen :

  • Was genau ist eigentlich Agile Organisation und worin liegen die Unterschiede zur klassischen?
  • Warum soll AO besser sein?
  • Wer hat Einfluß und wer trägt letztendlich die Verantwortung?
  • Welche Haltung braucht es – bei Führungskräften und bei Mitarbeitern?
  • Wie sieht eigentlich die Struktur konkret aus?
  • Wer will es?
  • Habe ich dann noch einen Chef?
  • Wo gehöre ich eigentlich dazu? Wo ist mein Hafen, meine „Heimat“?
  • Was passiert mit den Statussymbolen, wie sieht in der Agilen Organisation ein Entlohnungsmodell aus?
  • Sprints, Scrum, Kanban kursieren in der Diskussion – welche Bedeutung haben die methodischen und prozessualen Themen für die Diskussion in der Auseinandersetzung mit Agiler Organisation?

und letztendlich:

  • Wie gelingt der Übergang von „normaler“ Organisation zu einer agilen Organisation?

Ziel dieses Beitrages ist es, den Fokus auf die aus unserer Sicht wichtigen Punkte bei der Einführung von Agiler Organisation zu richten und die Dimension der Veränderung mit den damit verbundenen Emotionen aller Beteiligten ebenso zu verdeutlichen wie die daraus resultierenden Lösungsansätze. Wenn sie
nicht sinnvoll implementiert wird, gibt es Verwirrung! Im Zweifelsfall eher die Finger von Agiler Organisation!

1. Die Historie – Projektmanagement

Als in den 90er Jahren Projektmanagement eingeführt wurde, war der eigentliche Grund die damals spürbare Zunahme an Komplexität der Produkte sowie hoher Zeit- und Kostendruck. Hierarchische Entscheidungsmodelle dauerten zu lange und waren zu sehr von Bereichsinteressen geprägt – also schaffte man einen Zwitter – sprich einen organisatorischen Kompromiss: Projekt-Teams bestehend aus Experten der beteiligten Bereiche und Abteilungen. Diese hatten zwar die Verantwortung für die zeitlich befristeten Aufgaben  – die letztendlich dazu notwendigen Befugnisse verlagerte man aber in Lenkungs- oder Steuerkreise, bestehend aus den Linienverantwortlichen der Projektteam-Mitglieder. Der Einfluss der Vorgesetzten war somit gewährleistet – die unterschiedlichen Bereichsinteressen und damit verbundenen Konflikte verlagerten sich in die Teams.
 Die Einführung damals schon war begleitet von massivem Widerstand (vor allem von Seiten der Führungskräfte) basierend vor allem auf drohendem Einflussverlust.
Ergo – PM ist nur der faule Kompromiß zwischen klassisch hierarchischer und einer selbstorganisierten Organisation.

Die logische Weiterentwicklung ist jetzt: Agile Organisation (AO)
Der Ursprung der AO war in der IT – dort war es aufgrund der Komplexität und permanenten Änderungen während des Projektverlaufes unabdingbar. Eigenverantwortliche Planung und Steuerung der Projekte erfolgt direkt aus den Teams – direkt mit dem Kunden bzw. Auftraggeber. Diese Form der Veränderung ist deutlich intensiver und folgenschwerer – begleitet von der formalen „Entmachtung“ bzw. der gänzlich neuen Rolle von Führungskräften. Und hier liegt ein Teil des Sprengstoffes. 
Vermutlich verbirgt sich hinter der Auseinandersetzung auch ein indirekt geführter Generationenkonflikt als Folge neuer Werte im Umgang miteinander.


2. Warum soll eigentlich Agile Organisation die „bessere“ sein?

Das Konzept der AO basiert auf einem crossfunktionalen, interaktiven und selbstorganisierten Ansatz – bedeutet: Eine Gruppe von Menschen plant, steuert und koordiniert die Umsetzung einer Idee in kleinen Teilschritten.
 Man weiß, daß selbstorganisierte Teams zu höheren Leistungen in der Lage sind. Aber warum ?
Aus neuro-wissenschaftlicher Sicht ist bekannt, daß das Streben eines Menschen schon von Kindesbeinen an darauf ausgerichtet ist, etwas auszuprobieren, umzusetzen und sich am Fortschritt bzw. Ergebnis zu erfreuen. Und hierbei sind nicht nur Fehler erlaubt, sondern müssen gemacht und daraus gelernt werden – nur damit ist Weiterentwicklung möglich. Das kann man schon bei Kleinkindern beobachten – das Lernen basiert auf diesem inneren Trieb. 
Wann sind Menschen engagiert und identifiziert bei einer Sache ? Wenn Sie genau das so machen dürfen und dabei auch das Gefühl haben, gebraucht zu werden und etwas Sinnvolles zu machen. Es ist kaum vorstellbar, daß sich dieses Gefühl auch einstellt, wenn man seine Ideen nicht einbringen kann, sich fremdgesteuert fühlt bzw. das Gefühl der permanenten Überwachung durch überzogenes Controlling und Reporting vorherrscht.

Wenn Menschen etwas ausprobieren dürfen, die Effekte Ihres Tuns mitbekommen, sehen wie etwas sich entwickelt – dann steigt die Motivation und auch die Bereitschaft, sich zu engagieren. Die direkte Verantwortung für das Tun und das entgegengebrachte Vertrauen wirken wie ein Turbo !

Mit Kunden und Auftraggebern zu verhandeln, etwas mit anderen auszuprobieren, umzusetzen, die Umsetzung mit zu erleben – dafür dann auch die positiven Effekte mitzuerleben setzt Botenstoffe im Gehirn frei, die uns anspornen, die uns aufgehen lassen in der Bewältigung von Herausforderungen – und genau das ist die psychologische Triebfeder selbstorganisierter Teams!
Und nur ein selbstorganisiertes, auf Augenhöhe arbeitendes (agiles) Team ist dementsprechend in der Lage, sich schnell auf Veränderungen einzustellen. Man kann sich auf die Inhalte konzentrieren und wird nicht durch Interessenskonflikte und Machtspiele gebremst.

3. Was sind Voraussetzungen damit AO funktioniert?

Zielorientiertes Zusammenraufen der benötigten Experten, die

  • sich mit dem Ziel und dem Scope identifizieren und selbst strukturieren
  • das machbare Ziel definieren und mit dem Auftraggeber vereinbaren
  • ein arbeitsfähiges, weil ausbalanciertes und klar strukturiertes Team bilden
  • den Weg dahin gemeinsam interaktiv und iterativ planen und
  • sich selbst in der Abarbeitung steuern,
  • ihre Regeln der Zusammenarbeit selbst festlegen
  • das Mindset für diese Art der Zusammenarbeit haben
  • in intensiven permanenten Kontakt miteinander sind
  • die „echte“ Verantwortung für ihr Tun und ihre Entscheidungen haben
  • sich permanent mit dem Auftraggeber abstimmen
- aber auch
  • Verantwortung übernehmen für das, was sie entschieden haben
  • letztendlich auch die „Lorbeeren“ bekommen, für das, was sie erreicht haben.

Das bedeutet aber auch:
Diese Teams brauchen weder „Führung“ im klassischen Stil noch werden die Führungskräfte als teure oder letztendliche Entscheidungsinstanz benötigt.
Führung verändert sich radikal in Richtung „supportive leadership“:  „Führungskräfte“ müssen alles dafür tun, dass die Menschen in diesen Teams arbeiten können!

Es braucht ein Höchstmaß an Transparenz für die Beteiligten und Auftraggeber – geeignete Planung und Controlling-Tools – die im Unterschied zu klassischen Planung und Steuerungstools ausschließlich dem Team zur Erreichung seiner Ziele dienen und kein machthierarchisches Überwachungsinstrument sind.
Die Mitarbeiter in den Teams müssen auch lernen, Verantwortung zu übernehmen und dafür zu stehen – das dürfte nicht allen leicht fallen. Menschen mit Projekterfahrung haben hier sicher Vorteile.

4. Was bedeutet das für den Übergang?

Jetzt wird so langsam deutlich, daß der Übergang zur Agilen Organisation – im Gegensatz zu Projektmanagement – eine gewaltige Veränderung bedeutet und alle Beteiligten fordert.
Im ersten Schritt
a) braucht es eine klare Vision (wie arbeiten wir, was brauchen wir für Menschen mit welcher Haltung?)
b) benötigt es vor allem im Management die Überzeugung und den Glauben an die Kompetenz der Mitarbeiter
c) braucht es Klarheit und Akzeptanz bzgl. der Konsequenzen im Hinblick auf  die neue Bedeutung von Führung (Macht- und Einflussverlust der Führungskräfte)
d) Durch den Verlust der Differenzierung müssen dann auch Themen wie Entfall von Statussymbolen, Loslösen von Arbeitskleidung und Uniformen, Transparenz wie z.B. zu den Entlohnungsmodellen betrachtet und angepasst werden.
e) braucht es Klarheit, mit welchen Mitarbeitern und Führungskräften sind wir in der Lage, eine derart anspruchsvolle Organisation zu leben machen und wie entwickeln wir sie dahin ?

Eine Mischform (agil neben klassisch) ist nur kurzzeitig während des Übergangs möglich. Vermutlich gibt es auch Bereiche, wo man keine Agilität einführen wird – diese sind dann aber klar definiert und „abgegrenzt“.

5. Wo liegen die Widerstände, woher kommen sie und wie kann man damit umgehen?

Wie anfangs erwähnt, liegt der Fokus derzeit auf den Rollen und den Methoden der Agilen Organisation – hinterher stellt man dann fest, daß es so nicht funktioniert.
Warum ?
„Die wichtigen Rennen werden im Kopf gewonnen“ – die eigentliche Herausforderung im Übergang liegt in den Widerständen den Menschen und weniger in der Struktur. Die Veränderung der Struktur ist die Konsequenz der zuvor geführten Diskussion.
Emotionen in Unternehmen sind vielerorts tabuisiert – sie beeinflussen das Tun und Handeln der Beteiligten, sie werden ausgeblendet. Angst, Wut, Trauer sind wesentliche Emotionen, die es gilt transparent zu machen und die darin gebundene Energie zielführend zu nutzen. Es empfiehlt sich, mit dieser Energie zu arbeiten – das bedeutet z.B. Unsicherheit, Befürchtungen oder Hilflosigkeit besprechbar und den möglichen Nutzen für jede(n) Einzelnen deutlich zu machen. Das verringert Widerstand und fördert Diskussion und Ausprobieren.
Es braucht eine andere Haltung in der agilen Organisation.   (Haltung = gelebtes und verinnerlichtes Verhalten)

6. Wie kann demnach der Übergang in eine AO konkret erfolgen?

  1. Eine Auseinandersetzung im TOP-Management zu AO (ohne wenn und aber und Kompromisse und mit Hinblick auf die Konsequenzen) mit eindeutiger Entscheidung
  2. Ein klares Bekenntnis zu AO und einer Vision  (Zielbild) im Management mit Aufzeigen der Konsequenzen hierbei. Ebenso Abgrenzung: in welchen Bereichen wird es keine Agile Organisation geben?
  3. Ein behutsam und professionell moderierter Prozeß, in dem die Widerstände, Ängste, Befürchtungen und vor allem persönlichen Konsequenzen im Mittelpunkt stehen mit dem Ziel klarer, veröffentlichter, persönlicher Position zur Veränderung.
    ACHTUNG : werden diese Auseinandersetzungen nicht formell geführt, wandert die Auseinandersetzung in das informelle System und ist nicht mehr unter Kontrolle!
  4. Eine Entscheidung auf Management- Ebene im Hinblick auf individuelle persönliche Entscheidungen – wer geht mit, wer nicht?
  5. Eine Veröffentlichung dieser Inhalte bei den Mitarbeitern und die Möglichkeit der Auseinandersetzung (analog Punkt 3)
  6. Die Bildung eines Change-Teams zur Steuerung des Transferprozesses mit Feedback an die Mitarbeiter, ggf. themenbezogene „Satellitenteams“ (wie Entlohnung etc..) und eine konsequente Nachhaltung der Veränderung im Hinblick auf die gesetzten Ziele – Kontinuierliche Verbesserung und Nachbesserung durch konsequentes organisatorisches Lernen.

7. Fazit:

Der Übergang von einer traditionellen Organisation in eine agile Organisation kann nur gelingen, wenn man sich mit den Befürchtungen, Ängsten und Hoffnungen der Beteiligten auseinandersetzt. Die Bearbeitung der Emotionen zur Erreichung einer kollektiven Klarheit und Eindeutigkeit der Struktur, Rollen und Prozesse ist die Grundlage für eine erfolgreiche Transformation. Der eingeschlagene Weg muß konsequent Schritt für Schritt gegangen werden – ein bisschen agil geht nicht!

Ansonsten: „Finger weg!“ – auch von Mischformen.

Der Autor ist Geschäftsführender Gesellschafter der projekt-dialog gmbh